Die Funktion des Marktes – Replik aus entwicklungspolitischer Sicht

Dorothea LoosliAllgemein

Dem Artikel «Plastik ist besser als Papier» stimme ich mit meiner Replik auf ein Votum an einer Tagung in vielem überein. Ausser der Förderung von Atomstrom, das ist zu gefährlich!

«Herr XY bezieht sich in erster Linie auf die Schweiz. Doch machen wir uns nichts vor, im Zeitalter der Globalisierung reicht diese Sicht trotz Neutralität und vielgepriesener Unabhängigkeit der Schweiz nicht mehr aus. Der Begriff der Gerechtigkeit wirft – insbesondere im Nord-Süd-Gefälle – viele Fragen auf. Das Verständnis von Gerechtigkeit stützt sich auf die Wertebasis. Diese ist aber abhängig von dem je eigenen religiösen und weltanschaulichen Verständnis einer Gesellschaft und ändert sich ständig mit dem Wandel der Kulturen. Es gibt also nicht die Gerechtigkeit sondern jede Menge Gerechtigkeiten und dadurch wird der Begriff einer allgemeinen Gerechtigkeit zur Worthülse. Hinzu kommt, dass für die Gerechtigkeit das Grundprinzip der Gleichheit resp. der Gleichberechtigung aller Menschen sichergestellt sein müsste. Dies zeigt, dass der Begriff der Gerechtigkeit als massgeblicher Indikator für einen angemessenen Ausgleich grundsätzlich untauglich ist.

 

Vor diesem Hintergrund ist es eher unverständlich, warum Herr XY so unkritisch die heutige Marktwirtschaft inkl. Wachstum als einzigen Weg zur „Gerechtigkeit“ postuliert. Es ist der Blick aus der reichen Schweiz auf die Welt. Um unseren Lebensstandard inkl. des „immer mehr“ weiter zu pflegen, kann es nur Wachstum geben. Zwar wird allgemein das qualitative Wachstum hervorgehoben, doch was heisst das? Wir fixieren uns auf Objekte und entwickeln neue energiesparende Technologien, mit dem Erfolg, dass beispielsweise der Energieverbrauch dennoch Rekordwerte erreicht. So wurde durch die E-Bikes der Autoverkehr um kein bisschen reduziert, aber eine komplementäre Industrie geschaffen inkl. Plastiktachos und Spezialbekleidung für jeden Konsumentenwunsch. Erst wenn wir uns an individuellen Obergrenzen für ökologische Ressourcen orientieren, tritt ein nachhaltiger Effekt ein. Dann gibt es aber kein Wirtschaftswachstum mehr, das schlussendlich auf der Auslagerung von physischer und schmutziger Produktion, Ressourcenplünderung und Billiglöhnen in Drittweltländern beruht. Dies bedeutet in unseren Breitengraden der Eintritt in die Postwachstumsökonomie, mit effizienten Technologien, die umgewandelt und wiederverwertet werden, kürzeren Arbeitszeiten, mehr Zeit um selbst zu reparieren, Produkte mit anderen Menschen zu teilen, für einen direkten Tausch von Fähigkeiten.

 

Markt ist nicht grundsätzlich etwas Schlechtes, es braucht den Markt, sofern dieser im Sinne eines Tausches steht, wo Notwendiges gegen einen realen Gegenwert erstanden werden kann. Damit geht es dann nicht mehr einzig um den Gewinn eines Unternehmens, sondern darum, was Profite und Nutzen für die Menschen und den Planeten erzielt. Die Anreize müssen neu definiert werden.

Herr XY postuliert, dass Wachstum wesentlich unser Streben nach Gerechtigkeit erleichtert, weil in einer wachsenden Wirtschaft schlussendlich alle vom Zuwachs profitierten, auch bei ungleicher Verteilung und Einkommen. Diese Haltung entspricht der klassischen Trickle-Down-Theorie, nach der Wirtschaftswachstum und allgemeiner Wohlstand der Reichen nach und nach in die unteren Schichten der Gesellschaft durchsickern würden. Viel zu lange setzte die Entwicklungspolitik einseitig auf diesen Effekt, obwohl seit längerem bekannt ist, dass gerade bei hoher Ungleichverteilung ein trickle down ausbleibt. Extreme Ungleichheit in Bezug auf die Verteilung von Vermögen allgemein und insbesondere von Land reduziert die Wahrscheinlichkeit der Armutsminderung durch Handel, das ist empirisch vergleichsweise gut abgesichert. Ja, mehr noch, im Falle extremer Ungleichverteilung von Besitz und Marktmacht ist sogar eine Verschärfung von Armut möglich.

 

Verkürzte allgemeingültige Strategien sind auf den ersten Blick bestechend, doch ausgehend von der Situation der Armen müssen von Land zu Land geeignete Strategien gesucht und Handelsreformen entwickelt werden, die sich zu allererst für sie auswirken.

 

Februar 2014

Dorothea Loosli-Amstutz